40.000 Bleistifte

Ich bin nicht davon überzeugt, dass manche Dinge nur im ländlichen Raum passieren, aber gerade wenn sie hier passieren, wirken sie besonders spektakulär.

1997 eröffnete ein chinesischer Konzern die nbf Norddeutsche Bleistiftfabrik. Ein Jahr später machte die Firma pleite. Das Medienecho war groß, aber mich interessierte nur der Ausverkauf der Inneneinrichtung, der Erwerb von Insolvenzmasse. Genau in dem Jahr brauchte ich einen neuen Schreibtisch für mein Büro. Und Büromöble waren und sind sehr teuer. Ich habe meine Gelder bar zusammengekratzt – denn zahlen tat man zu der Zeit bei einer solchen Versteigerung noch bar – und bin mit einem Kleinlaster zu der Fabrikhalle. Der Kleinlaster ist auch wichtig, denn man musste die gekaufte Insolvenzmasse auch umgehend abtransportieren.

Es gab schicke Büromöbel, die im Block, also ein Büro pro Posten, versteigert wurden. Die ersten Möbel gingen für viel Geld weg. Das war mir zu teuer. Dann kamen die Möbel, die hochwertiger waren und auf einmal hatten alle anderen mit Geld schon genug. Noch heute begleiten mich diese wirklich wunderbaren Möbel aus deutscher Produktion. Es wurden auch Maschinen, Verpackungsmaterial, Matratzen und Betten und natürlich Bleistifte versteigert. Das wollte aber niemand haben. Beim Bezahlen meiner Möbel haben wir gescherzt und ich meinte, den kleinen Posten Bleistifte (5000 Stück waren angegeben) würde ich noch nehmen. Aber der war schon weg. Also nahm ich für wenig Geld ein Konvolut, dass mit 9000 Bleistiften und Verpackungsmaterial angegeben war. Die zwei Paletten würden ja wohl noch auf den LKW passen.

Nach dem Abladen zu Hause, habe ich festgestellt, dass ich neun Kartons Bleistifte erworben hatte und 1,5 Paletten mit Kartons, in die man Bleistifte verpacken kann. Nach dem Öffnen der Kartons habe ich mich gefragt, wie viele Bleistifte da wirklich im Karton sind. Ich habe also einen Karton ausgezählt, gewogen und dann hochgerechnet. Am Ende waren es geschätzt 40.000 Bleistifte, die ich erworben hatte. Es ist eine super Qualität. Ich habe immer noch welche.

Der neue Hund

Der ländliche Raum ist prädestiniert für Tierhaltung. Tatsächlich ziehen viele Menschen ins Dorf, damit sie sich Tiere halten können. Und auch wenn sie noch nie in ihrem Leben selbst ein Tier hatten, schaffen sie sich Hühner, Katzen oder sogar ein Schaf an.

Das häufigste Tier ist jedoch ein Hund. Früher hatte auf dem Dorf jeder einen Hund. Das war nicht nur reine Tierliebe. Der Hund hatte hauptsächlich die Aufgabe den Hof zu bewachen. Wo man in der Stadt hofft, dass der Nachbar abschreckend wirkt, ist es auf dem Land der bellende Hund. Im Wandel der Zeit sind Türen und Schlösser moderner geworden und Hunde in der Haltung aufwändiger. Hatte man früher keinen Zaun, so wurde der Hund an die Kette gelegt. Es war auch üblich den Hofhund in den Zwinger zu setzen, wenn man Besuch bekam. Die Hunde waren eher unfreundlich, groß und wenig erzogen. Dafür traute sich niemand auf den Hof, wenn der Hund vor einem stand. Heute braucht ein Hund Spezialfutter, er muss an der Leine gehen können, er soll im Haus mitwohnen und Freund von Feind unterscheiden können.

Ich denke nicht, dass die Hunde gerade letzteres so wirklich begreifen. Es ist immer noch so, dass der Hund ins Zimmer gesperrt wird, wenn Besuch kommt. Dieser Hund bewacht das Grundstück vermutlich sehr gut. Oder die Haustür und das Hoftor werden abgeschlossen, weil der Hund sich über jeden Besuch freut. Und auch den letzten Dorfbewohner sieht man heute mit seinem Hund an der Leine spazieren gehen. Die freilaufenden DoKö (Dorfköter) sieht man kaum noch. Und wenn doch, dann kurz darauf den Nachbarn, der seinen Hund sucht. Dafür sind die Zäune höher geworden, es sei denn, der Bewohner hat keinen Hund.

Ich finde diesen Wandel durchaus begrüßenswert. Und doch habe ich die natürlich Alarmanlage etwas vermisst. Aber der neue Hund ist ein Schäferhund: er ist groß, schlecht erzogen und wir haben einen Zaun gebaut.

Sport auf dem Land

Gerade bin ich etwas verblüfft. An mir lief einE JoggerIn vorbei. Es gibt Gegenden, wo das niemanden überrascht. In einem Dorf ist das ein seltsames Hobby. Vielleicht war es jemand, der hier Urlaub macht.

Tatsächlich gibt es auch im Dorf Bewohner, die Sport treiben. Das findet dann am Sonntag Vormittag als Fussball statt. Wir haben auch einen Beachball-Platz, der vom vor-vor-letzten Kinderfest übrig geblieben ist und manchmal auch genutzt wird. Aber sonst fällt mir kein Sport im Dorf ein, der im öffentlichen Raum stattfindet. Ungenutzte Sportgeräte in den Häusern gibt es vermutlich reichlich.

Sportliche Betätigung im ländlichen Raum findet im Garten, auf dem Heimweg oder beim Heimwerken statt. Es gibt immer was zu tun und das meiste davon hat mit körperlicher Bewegung zu tun. So gibt es die gesetzlich vorgeschriebene Bewegung beim Reinigen des Rinnsteins, dem Schnee schippen und dem Mähen des Grasstreifens der Gemeinde. Es gibt die sozial erzwungenen Bewegungen beim Fußweg zu Feierlichkeiten. Und dann noch die vielen anderen Dinge, wie Gartenpflege, Reparaturen, Versorgung des Tierbestandes oder Entsorgung der Grünabfälle.

Sportliche Betätigung im ländlichen Raum hat eigentlich immer etwas mit einem Eimer und einer Schubkarre zu tun. Ich bin wirklich sehr verwirrt, warum man ohne diese Ausstattung durch das Dorf läuft.

Mehr Strom

Früher war das wohl anders. Also anders mit dem Strom auf dem Land. Überhaupt war vor 50 Jahren Strom ein kann und kein muss. Heute geht alles mit Strom. Wenn man will kann man sogar die Tür mit Strom öffnen, die Kinder mit Strom wecken lassen und dem Hund mit Strom sein Futter geben. Und da ist kein Unterschied mehr ob Stadt oder Land.

Auf dem Land ist es aber einfacher seinen Strom selbst zu produzieren. Es gibt so kleine Windräder, die nicht mal eine besondere Zulassung brauchen. Allerdings nimmt eventuell der örtliche Stromvertreiber den überschüssigen Strom nicht ab, weil diese Dinger irgendein Zertifikat nicht haben oder potentiell gefährlich sind. Die ganz alte Sache mit dem Göpel hat schon damals nicht funktioniert. So ein Göpel wird durch Pferdekraft am Laufen gehalten. Das ist nicht besonders pferdeschonend, weil die Pferde ständig im Kreis laufen müssen. Und sehr effektiv ist es auch nicht, weil so ein Göpel auch nicht viel Strom produziert. Photovoltaik, also Solarplatten sind hingegen unproblematisch. Bis 30kW muss der örtliche Stromvertreiber einem den Strom sogar abkaufen. Der Preis dafür ist demnächst allerdings nicht mehr festgenagelt. Und da kann es sein, dass man als Mini-Produzent mit Mini-Beiträgen abgespeist wird. Wie im richtigen Leben sonst auch, also gefühlt.

Wir produzieren unseren eigenen Strom. Und wir würden gerne mehr produzieren. Aber das bezahlt einem ja keiner. Ich frage mich, warum man als Befürworter der Energiewende mit dem Willen zu Solarplatten auf dem Dach und Windrädern im Garten, erstmal selbst bezahlen muss. Und auf jeden Fall trägt man das Risiko alleine. Mit ein bisschen Glück bekommt man die Kosten für die Anlage nach 20 Jahren wieder raus. Der Aufwand für das angemeldete Gewerbe, die Umbaukosten am Haus oder eventuelle Schäden, die man dem Hersteller nicht in die Schuhe schieben kann, bleibt an einem selbst hängen. Irgendwie ist das ganze nicht durchdacht. Und da steigt auch der kleine Gedankenteufel auf, dass es vielleicht von manchen nicht gewollt ist.

Ich hätte jedenfalls Dachflächen zu verpachten. Als Zahlung nehme ich gerne den Strom in dem Moment ab, wo er produziert wird. Hat jemand Interesse?

Recht und billig?

Manchmal habe ich mit Freunden, die in der Stadt wohnen und auch von da stammen merkwürde Diskussionen. Dann springt mich mitunter ein Thema an, dass anscheinend in der Stadt und auf dem Dorf unterschiedliche Auswirkungen hat.

Dieses Mal ging es darum, wann man wo im Recht ist. Da gibt es den privaten Parkplatz, der in der Stadt sehr kostbar ist. Ist er unberechtigt zugeparkt, ruft man den Abschleppdienst. Auf dem Dorf klingelt man an der Haustür, vor dem das Auto steht, geht durch die Hintertür rein oder brüllt: „Kannst du mal deine Karre wegfahren?“. Oder auch das Ruhegebot am Abend oder am Sonntag. Brüllt man in der Stadt aus dem Fenster: „Mach mal deinen Laubpuster aus?“? Hier wirft man am nächsten Sonntag einfach die Flex an, wenn der Nachbar letzten Sonntag mit dem Bagger seinen Swimmingpool ausgehoben hat. Ich erinnere mich noch, wie der Trettrecker meiner Kinder eines Tages verschwunden war. Es war kurz nach dem Abholtermin vom Sperrmüll, der damals noch an fixen Tagen zweimal im Jahr kam. Das hatte zur Folge, dass an den Tagen Autos mit osteuropäischen Kennzeichen durch die Straßen fuhren und den Sperrmüll nach brauchbaren Gegenständen absuchten. Das gibt es so leider nicht mehr, aber das ist hier ja nicht das Thema. Jedenfalls war ich der Ansicht, dass der Trettrecker jetzt ein Kind in Rumänien glücklich machte. Tatsächlich war es aber ein Kind aus dem Dorf, dass den Kindertrecker entführt hatte. Der Trecker durfte da bleiben. Inzwischen ist dieses Kind groß und kommt noch ab und an ins Dorf. Vielleicht sollte ich jetzt mal mit ihm reden und fragen, ob mein Überlassen für ihn in Ordnung war.

Im Großen und Ganzen werden die Dinge im Dorf möglichst ohne Einschalten der Polizei geregelt. Das funktioniert nicht immer. Wenn ein schräger Vogel im Dorf andere regelmäßig körperlich bedroht, dann ist da auch mal Schluss. Aber solange nur ab und an ein Huhn verschwindet und den Kochtopf des schwer trinkenden Dorfbewohners bereichert, ist man durchaus großzügig. Und wenn die Jugendlichen ohne Helm mit ihren Simsons oder ähnlichen Zweirädern durch die Straße knattern, dann fällt mir ein, dass mein damals Zwölfjähriger alle Weglampen auf dem Hof mit dem großen Trecker umgemäht hat.

Aber hier ist auch kein rechtsfreier Raum. Eher kann man es als eigene Interpretation von Recht und Gesetz bezeichnen. Wie wir als junges Ehepaar in das Haus gezogen sind, haben wir unseren Rinnstein nicht sauber gemacht. Anfangs wussten wir es nicht und danach fragten wir uns, warum das die Gemeinde nicht selbst tut. Der damalige Bürgermeister kam zu uns, und bat uns den Rinnstein zu fegen. Wir waren empört. Heute gehe ich schon mal zu den Leuten und bitte sie den Rinnstein zu säubern. Und ich erkläre ihnen auch warum. Das Zusammenleben funktioniert einfach besser, wenn jeder seinen kleinen Teil dazu beiträgt. Und dazu gehört auch, dass man sich mal was sagen lassen muss. Mir ist es lieber, wenn der Nachbar mich darauf hinweist, als dass die Polizei vor der Tür steht.

So ganz ohne die Ordnungshüter geht es auch nicht. Manche Dinge sind eine Nummer zu groß. Manchmal werden sie aber auch größer gemacht, als nötig. Letztes Jahr klingelte die Polizei bei mir an der Haustür. Es wäre gemeldet worden, dass illegal Abfall verbrannt werden würde. Ich war konsterniert. Wenn es bei uns brennt, wäre es nett die Feuerwehr zu rufen. Und noch mutiger wäre es gewesen, selbst an meiner Haustür zu klingeln. Die Ursache vom Brand war ein Heuballen, der sich selbst entzündet hatte. Mein Mann hatte es bereits bemerkt und war beim Löschen. Sonst hätten wir womöglich doch die Feuerwehr gebraucht und nicht die Polizei. Aber besser es hat überhaupt jemand bemerkt, als dass es weiter gebrannt hätte.

Die Party

Ich bin der festen Überzeugung, dass nur Partys auf dem Dorf, wirklich gute Partys sind. Geht euch das auch so?

Es geht schon mit der Suche nach einer Location los. Nehmen wir den Sportplatz? Also die Wiese hinter dem Kindergarten, wo zwei Tore stehen. Die wird regelmäßig gemäht. Wir können auch hinten im Garten feiern. Wenn man jünger ist, dann trifft man sich an der Kirchenmauer oder in der Bushalthaltestelle. Den Saal kann man auch mieten. Oder man fragt den Nachbarn, ob es in seiner Scheune geht. Auch der See bietet ein schönes Ambiente. Möglichkeiten gibt es reichlich. Der Geldbeutel wird meistens geschont. Die Nachbarn lädt man mit ein oder bietet einen Altenkaffee am Nachmittag an. Je mehr man das ganze Dorf mit einbezieht, desto wahrscheinlicher ist es, dass niemand sich wegen Ruhestörung beklagt.

Bei der weiteren Organisation kommt es darauf an, wie die Erwartungen der Gäste sind. Eine Silberhochzeit feiert man am ehesten im Saal, aber auf der Koppel geht es auch. Die Jugendlichen bevorzugen den See oder den Garten. Für den Altenkaffee eignet sich die die Scheune gut. Genau so unterschiedlich sind dann die Ansprüche an das Essen. Ganz prima klappt es, wenn man eine „Mitbring“-Feier ausruft. Zum Kaffeetrinken wird man sowieso schon von den dörflichen Gästen gefragt, welcher Kuchen mitgebracht werden soll. Oder man wird nicht gefragt, kann sich aber darauf verlassen, dass irgendein Kuchen den Weg zur Feier findet. Bei anderen Feierlichkeiten sollte man den Strom von Grillgut, Salaten oder Nachtisch etwas steuern. Die Reste bleiben nämlich immer beim Gastgeber. Da sitzt man mitunter mehrere Tage auf Nudelsalat, weil so viele Gäste den mitgebracht haben. Und der Ehre halber ist jeder Salat selbstgemacht. Sicherheitshalber sollte man vorher Plastikschachteln mit Deckeln sammeln. In die kommen vor Ende der Feier die Reste und werden gerecht an alle Gäste, die nicht rechtzeitig Nein sagen, verteilt.

Das unangenehmste Problem sind die Dinge, die man wieder los werden will – üblicherweise und hoffentlich auf den Toiletten. Selbst wenn es viel Platz für wenige Party-Gäste gibt, sollte es dafür einen ordentlichen hygienischen Platz geben. Am Ende laufen, wenn Alternativen fehlen, ja doch alle auf das Klo im Haus. Es lohnt sich dafür eine gute Lösung zu finden, denn das Putzen am nächsten Tag, ist einfach kein Spaß. Einfacher ist es hingegen mit den Schlafplätzen, wenn die Gäste unter 40 Jahre sind. Es gibt auch ältere Semester, die das Zelt eine adequate Lösung finden (die sind meistens männlich). Je nachdem, wie sehr einem die Gäste am Herzen liegen, kann man mit ein paar Ersatz-Iso-Matten bis hin zu Luftmatratzen aushelfen. Ansonsten passiert es, dass fünf Leute auf dem Sofa schlafen, weil es auch im August nachts ganz schön kalt draußen ist.

Die meisten Partys sind nur so gut wie die Musik, die läuft. Eine Playlist ist da keine gute Idee. Wenn die Party richtig gut sein soll, dann sucht man einen DJ. Die Musik ist aber auch meistens das größte Problem, im Zusammenleben mit den Nachbarn. Da ist schnell mal die Polizei auf dem Hof, die höflich darauf hinweist, dass es zu laut ist. Es ist daher sehr hilfreich seine Nachbarn auf die Lärmbelästigung rechtzeitig hinzuweisen. Am besten lädt man die ganze Nachbarschaft mit ein. Man kann mit kostenlosem Essen locken, denn davon ist in den meisten Fällen ausreichend da. Kommt die Polizei dennoch, sind Diskussionen sinnlos. Da hilft es nur die Lautstärke runter zu drehen, ein nettes Gespräch mit den Ordnungshütern zu führen und versuchen herauszufinden, wem man denn auf die Füße getreten hat. Entschuldigt man sich am nächsten Tag bei demjenigen, könnte sich das Problem bei der nächsten Feierlichkeit eventuell schon erledigt haben.

Jetzt braucht man nur noch eine hilfreiche Truppe, die beim Aufbauen und Aufräumen hilft. Dann steht der nächsten Party nichts mehr im Weg.

Eigentum verpflichtet

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 14 

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html

So ein Wohnahus mit Grundstück jedenfalls will erhalten und gepflegt werden. Zuerst mal geht es dabei um Eigeninteressen. Man möchte ja schön und ordentlich wohnen und lange halten soll es auch noch. Dann kommen schon die Interessen der Umliegenden. Wie viel merkwürdige Blicke der Nachbarn kann und will man aushalten, weil der Brennesselhorst neben der Einfahrt immer größer wird. Bis hin zu eben den gesetzlichen Vorschriften, die dazu führen, dass wir den Rinnstein vor unserem Grundstück sauber halten müssen.

Regenrinne
vermooste Regenrinne

Immerhin hat der Gesetzgeber eine eher schwammige Formulierung gewählt. Es bleibt ja die Frage offen, ob man den Rasen mähen muss oder nicht. Auf jeden Fall darf man Gebäude auf dem Grundstück nicht einfach verfallen lassen, auch wenn ich das schon anders erlebt habe. Vielleicht gibt es da ja Ausnahmeregelungen, wenn niemand gefährdet wird oder so. Und wie dient denn eigentlich mein Haus und Grund der Allgemeinheit? Wäre da nicht ein offener Blick auf das Grundstück und die schön gepflegte Anlage angemessen? Dann müssten ja alle die schönen Häuser mit hohen Mauern ihr Konzept ändern. Oder sollte einfach nur der Müll und Schrott nicht gerade bis auf die Straße raus wandern? Solche Grundstücke sind nicht gern gesehen. Da beginnt die „Hintenrum- Justiz“ des Dorfes – Lästern.

Die Dorfjustiz sorgt im Großen und Ganzen auch sonst dafür, dass man sich verpflichtet fühlt. Der Rasen, der Baumschnitt, der Blumengarten vor dem Eingang – alles wird von den Nachbarn beäugt und kommentiert. Sehr schöne Grundstücke werden zu Pilgerstätten, die jeden Sonntag einen Ausschank am Hoftor machen könnten, weil so viel Betrachter kommen. Die „Schandflecken“ müssen sich da schon mehr anstrengen. Aber wenn sie wirklich ausreichend Schrott angesammelt haben, dann hat man den gleichen Effekt.

Die Sache hat aber noch ein weiteres moralisches Nachspiel. Eigentum, ganz gleich ob an einem Haus, Pferd oder Kugelschreiber, bindet den Menschen auch. Sie hält dich fest und schränkt dich ein. Je mehr Eigentum, desto weniger Freiheit! Auf der anderen Seite:

Das Eigentum gibt dem Menschen die notwendige Unabhängigkeit und Freiheit, um das Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Es ist Ausdruck und Mittel der individuellen Selbstverwirklichung. Die Freiheit des Individuums bliebe ohne das Eigentum eine leere Formel, weil dem Menschen die materiellen Voraussetzungen selbstständiger und eigenverantwortlicher Daseinsgestaltung fehlen würden. Quelle: https://www.bpb.de/apuz/316452/was-ist-eigentum

Ganz praktisch sieht es so aus. Man wünscht sich das eigene Haus mit einem möglichst großen Grundstück und einem sympathischen Baumbestand. Dann lebt und arbeitet man, harkt die Blätter, pflanzt Blumen und Hecken, reinigt Dachrinnen und Badezimmer. Und im Laufe der Jahre wird das immer beschwerlicher. Das liegt vielleicht auch an der Gebrechlichkeit des Alters, aber auch daran, dass man materielle Dinge immer weniger schätzt. Da wird das geliebte Eigentum zum Killer der Freiheit. Vielleicht es auch nur eine typisch menschliche Entwicklungsphase, das letzte Stück der Pupertät oder so, die einen erkennen lässt:

Der Besitz besitzt. – Nur bis zu einem gewissen Grade macht der Besitz den Menschen unabhängiger, freier; eine Stufe weiter – und der Besitz wird zum Herrn, der Besitzer zum Sklaven. Friedrich Nietzsche