Keine Werbung

Nachdem Cindy ja wunderbar einen Text zum Jubiläum von Mondscheintomate erstellt hat, lehne ich mich da mal faul zurück und überlasse ihr die Lorbeeren. Oder hat das schon was mit Werbung zu tun? Es ist ja eigentlich nur Werbung für die Mondscheintomate, denke ich. Oder mache ich Werbung für das Dorfleben? Ich hoffe nicht!

Das mit dem Dorf ist wie mit der unberührten Natur oder dem Geheimtipp. Wenn es jeder weiß und jeder dahin will, dann ist es nicht mehr das Gleiche und schon gar nicht mehr was Besonderes. Die Dinge leben davon, dass nur wenige Menschen es zu schätzen wissen. Eine meiner Influencerinnen (auch Content Creator genannt) sagte mal in einem anderen Zusammenhang: Nur angucken, nicht anfassen und einfach weitergehen. Das passt auch für’s Dorf. Sicher braucht es auch immer mal wieder Zuzug, aber der findet sich auch ohne Werbung. Die Gemeinden hören das nicht so gerne. Sie erhalten mehr Geld, je mehr Menschen im Ort wohnen. Das soll ja dann angeblich gut für die Dorfbewohner sein. Aber es muss im Rahmen bleiben.

Wie viele Orte, haben auch wir ein Neubaugebiet. Dort stehen jetzt 5 Häuser. Ich glaube es sind 27 Bauplätze vorgesehen. Das Gebiet wurde vor 30 Jahren eingerichtet. Jetzt sind auf einen Schlag 5 Bauplätze verkauft worden. Das bedeutet, dass sich die Anzahl der Dorfbewohner von ca. 455 auf knapp 500 erhöhen wird. Wenn alle Bauplätze vergeben sind und kein Haus in ein Ferienhaus ohne feste Bewohner umgewandelt wird, dann erreichen wir womöglich die 600 Menschen. Ich hoffe dann ist auch Schluss. Immmerhin möchte ich doch jeden noch kennen und Zeit haben jeden kennenzulernen.

Warum Dorf?

Ganz aktuell gibt es eine kleine Landflucht. Sie wäre vermutlich größer, wenn die Imobilienpreise niedriger wären oder Bauholz bezahlbar. Tatsächlich haben sich diverse Menschen entschlossen der Stadt jetzt entgültig den Rücken zu kehren. Und andere Menschen haben festgestellt, sie können ihren Job mitnehmen. Das ist nämlich Bedingung – entweder fährt man oder besser man bringt seine Arbeit mit aufs Land. Es gibt ein paar Verrückte, die erschaffen im ländlichen Raum ihre Arbeit, indem sie Kunsthandwerk gestalten, eine Imbissbude aufmachen oder Kanus verleihen. Das kann man machen, ist aber mehr Lebensgefühl als Geld. Man tut sich mit dem Dorf leichter, wenn man schon auf dem Dorf groß geworden ist. Dann ist man auch bereit auf diverse Dinge zu verzichten, für den Dorf-Flair. Oder man hat romantische Vorstellungen vom Dorfleben, in dem die Hähne krähen, es frische Eier vom Nachbarn gibt und beim Dorffest Polka getanzt wird. Auf letztere würde man im Dorf gerne verzichten. Manchmal will man sein Leben aber auch umkrempeln, ausmisten, verändern, naturnaher gestalten, dann findet man vielleicht sogar das richtige Dorf. Allerdings sollte man nicht auf das was man unter natur oder öko versteht zu ernst nehmen, sonst gerät man in einen geistigen Konflikt, wenn der Nachbar auf dem Lagerfeuer die Plastikteller entsorgt. Und es ist nicht unbedingt leicht zu verstehen, dass Bauschaum im Altbau wunderbar Probleme lösen kann, wobei die Lösung vom Bauschaum ignoriert wird.

Mecklenburg hat gute Voraussetzungen für Stadtflüchtlinge. Es gibt eine Menge Toleranz gegenüber Neulingen, die nicht wissen, wer vor 40 Jahren auf Hufe 8 gewohnt hat. Man ist auch geduldig mit Rasenfanatikern und naturnahen Gartenfreaks. Etwas ungeduldiger wird es, wenn der Neue es besser weiß. Aber das ist nirgendwo gern gesehen. Andere Ecken von Deutschland tun sich da schwerer mit denen aus der Stadt, die in hellen Hosen am Sonntag mit dem Fahrrad vorbei fahren. Da bedarf es vom Zugegzogenen schon eine Menge Feinfühligkeit, um anzukommen. Und in manchen Ecken bleibt man einfach außen vor. Das Besondere am Dorf bleibt eben nur erhalten, wenn da nicht jeder Hans und Franz hinzieht. Da bedarf es schon eines Testlaufes, einer Feuerprobe und einer gewissen Anpassungsphase, damit ein Dorf auch ein Dorf bleibt. Das wird selbstverständlich überwacht. Was die einen als Zusammenhalt des Dorfes preisen, in dem man noch seinen Nachbarn kennt, empfinden andere eher als unzumutbare Überwachung. Es ist einfach normal, dass man am nächsten Morgen Dorfgespräch ist, wenn man am Abend vorher spät und womöglich noch angetrunken nach Hause gekommen ist.

Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Kann ich damit leben, dass ich eine Speisekammer brauche, die auch gefüllt sein muss? Auf dem Land geht man nicht mal eben eine Butter holen. Es sei denn man leiht es sich beim Nachbarn. Ist es für mich in Ordnung, dass jeder weiß welche Farbe meine Unterwäsche hat, weil man auf meine Wäscheleine gucken kann, oder besorge ich mir besser trocknerstabile Wäsche? Ich liebe es unterbrochen zu werden, weil ein Nachbar am Grundstück vorbei kommt auf einen Klönschnack. Aber wer zügig mit der ungeliebten Gartenarbeit fertig werden möchte, fühlt sich vielleicht bedrängt. Es ist manchmal merkwürdig, dass jeder weiß, wer ich bin und ich oft genug nicht weiß, dass ich den Cousin vom Halbbruder von dem Nachbarn gegenüber vor mir habe. Aber daran arbeite ich hart!

Eigentum verpflichtet

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 14 

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html

So ein Wohnahus mit Grundstück jedenfalls will erhalten und gepflegt werden. Zuerst mal geht es dabei um Eigeninteressen. Man möchte ja schön und ordentlich wohnen und lange halten soll es auch noch. Dann kommen schon die Interessen der Umliegenden. Wie viel merkwürdige Blicke der Nachbarn kann und will man aushalten, weil der Brennesselhorst neben der Einfahrt immer größer wird. Bis hin zu eben den gesetzlichen Vorschriften, die dazu führen, dass wir den Rinnstein vor unserem Grundstück sauber halten müssen.

Regenrinne
vermooste Regenrinne

Immerhin hat der Gesetzgeber eine eher schwammige Formulierung gewählt. Es bleibt ja die Frage offen, ob man den Rasen mähen muss oder nicht. Auf jeden Fall darf man Gebäude auf dem Grundstück nicht einfach verfallen lassen, auch wenn ich das schon anders erlebt habe. Vielleicht gibt es da ja Ausnahmeregelungen, wenn niemand gefährdet wird oder so. Und wie dient denn eigentlich mein Haus und Grund der Allgemeinheit? Wäre da nicht ein offener Blick auf das Grundstück und die schön gepflegte Anlage angemessen? Dann müssten ja alle die schönen Häuser mit hohen Mauern ihr Konzept ändern. Oder sollte einfach nur der Müll und Schrott nicht gerade bis auf die Straße raus wandern? Solche Grundstücke sind nicht gern gesehen. Da beginnt die „Hintenrum- Justiz“ des Dorfes – Lästern.

Die Dorfjustiz sorgt im Großen und Ganzen auch sonst dafür, dass man sich verpflichtet fühlt. Der Rasen, der Baumschnitt, der Blumengarten vor dem Eingang – alles wird von den Nachbarn beäugt und kommentiert. Sehr schöne Grundstücke werden zu Pilgerstätten, die jeden Sonntag einen Ausschank am Hoftor machen könnten, weil so viel Betrachter kommen. Die „Schandflecken“ müssen sich da schon mehr anstrengen. Aber wenn sie wirklich ausreichend Schrott angesammelt haben, dann hat man den gleichen Effekt.

Die Sache hat aber noch ein weiteres moralisches Nachspiel. Eigentum, ganz gleich ob an einem Haus, Pferd oder Kugelschreiber, bindet den Menschen auch. Sie hält dich fest und schränkt dich ein. Je mehr Eigentum, desto weniger Freiheit! Auf der anderen Seite:

Das Eigentum gibt dem Menschen die notwendige Unabhängigkeit und Freiheit, um das Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Es ist Ausdruck und Mittel der individuellen Selbstverwirklichung. Die Freiheit des Individuums bliebe ohne das Eigentum eine leere Formel, weil dem Menschen die materiellen Voraussetzungen selbstständiger und eigenverantwortlicher Daseinsgestaltung fehlen würden. Quelle: https://www.bpb.de/apuz/316452/was-ist-eigentum

Ganz praktisch sieht es so aus. Man wünscht sich das eigene Haus mit einem möglichst großen Grundstück und einem sympathischen Baumbestand. Dann lebt und arbeitet man, harkt die Blätter, pflanzt Blumen und Hecken, reinigt Dachrinnen und Badezimmer. Und im Laufe der Jahre wird das immer beschwerlicher. Das liegt vielleicht auch an der Gebrechlichkeit des Alters, aber auch daran, dass man materielle Dinge immer weniger schätzt. Da wird das geliebte Eigentum zum Killer der Freiheit. Vielleicht es auch nur eine typisch menschliche Entwicklungsphase, das letzte Stück der Pupertät oder so, die einen erkennen lässt:

Der Besitz besitzt. – Nur bis zu einem gewissen Grade macht der Besitz den Menschen unabhängiger, freier; eine Stufe weiter – und der Besitz wird zum Herrn, der Besitzer zum Sklaven. Friedrich Nietzsche