Von der Stadt aufs Land

Es gibt so Menschen, die haben das Herz auf der Zunge und damit unglaublich viele Fettnäpfchen in Reichweite. Ich denke, ich zähle auch dazu. Die Menschen in meiner Umgebung verzeihen mir das erstaunlicherweise in den meisten Fällen, oder sie verschweigen es mir einfach.

Ich komme vom Dorf, ich habe in verschiedenen Dörfern in unterschiedlichen Bundesländern gelebt und ich wohne im Dorf. Die Sache mit der Stadt ist mir suspekt. So viele Menschen auf einen Haufen – die kann man nicht alle kennen. Im Dorf ist das anders. Irgendwie sind alle im Dorf Nachbarn. Die Sympathie ist unterschiedlich, aber man kennt sich. Und wenn dann Menschen, die hauptsächlich in der Stadt gelebt haben, ihre Liebe zur Natur entdecken und aufs Dorf ziehen, dann muss ich oft schmunzeln. Und ja – ich gebe es zu – ich mache mich auch darüber lustig.

Wenn ich mich dann aber darüber lustig mache und das ausgerechnet Menschen erzähle, die auch von der Stadt aufs Dorf gezogen sind, dann habe ich das nächste Fettnäpfchen erreicht. Aber es ist auch zu komisch, wenn man jemanden im Konsum im Dorf sieht, der in geputzten Schuhen, das schicke Outfit an, die Haare gelegt und geschminkt zum Einkaufen geht. Sehr interessant auch die helle, beige Hose, die getragen wird, wenn das Herbstfeuer stattfindet. Geleckte Vorgärten gibt es auch von Dorfbewohnern, aber da ist immer eine gewisse Pragmatik drin. Ist der Vorgarten so schick wie der Eingangsflur einer Stadtwohnung, dann hat in dem Haus jemand längere Zeit in der Stadt verbracht. Auch die Aufregung über den streunenden Hund hält sich bei der Dorfbevölkerung in Grenzen. Der findet schon wieder nach Hause.

Und ja – es wird getratscht. Das ist manchmal unfein, aber geht meistens über das Dorf nicht hinaus. Wie in einer Familie, wo man über den anderen lästert, aber kommt jemand von außen, wird selbst der blöde Onkel verteidigt. Und die Zugezogenen müssen erst beweisen, ob sie zu diesem Zirkel dazugehören dürfen. Dafür müssen sie wissen, ob der Ur-ur-ur-uropa den Esel vom Nachbarn geklaut hat und das deswegen die lebenslange Fehde besteht. Von den Geschichten der letzten 50 Jahre ganz zu schweigen. Wer Hufe 12 gewohnt hat, kann man wohl gerade noch behalten. Und das die alte Bockmühle oben an der Hauptstraße gestanden hat, sollte man wissen. Wenn man das geschafft hat, dann darf man auch mal über jemanden reden. Aber am besten nur Nettes! Schon für das eigene Gewissen.

Langeweile

Es gibt mitunter Dinge, die hat man wohl nur in der Stadt. Da wäre die Kneipe um die Ecke, der Supermarkt in fußläufiger Nähe oder den Spezialladen, den man mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Und es gibt Langeweile.

Langeweile scheint ein Phänomen der Stadt zu sein. Hier im Dorf muss man sich die Zeit aus den Rippen schneiden, um sich in schicke Klamotten zu werfen und mal auszugehen. Die nett gemeinte Anfrage der Freunde aus der Stadt, wann man denn mal wieder vorbei kommen möchte, beantwortet man häufig mit: „Ich habe noch so viel zu tun.“. Und ein Konzertbesuch muss akribisch geplant werden, weil der Tag nur 24 Stunden hat.

Bei meinen Besuchen von städtischen Bewohnern habe ich das Gefühl, dass sie häufig die Langeweile plagt, weil sie ständig auf der Suche nach passenden Freizeitaktivitäten sind. Veranstaltungen werden durchforstet und Events geprüft und Zeit für das Lieblingskaffee bleibt auch noch. Gerade habe ich eine Dokumentation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geguckt und mich gefragt, wer Zeit für diese ganzen Freizeitaktivitäten hat, die dort vorgestellt worden sind.

Ich versuche zwischen Rasenmähen, Unkraut jäten, Fassade reinigen, Pferde versorgen, Vögel aus Wassertonnen fischen, Rinnsteine reinigen, Obst ernten und verarbeiten, nachbarlichen Kontakten und den Fahrten in die Stadt zum Einkaufen noch Zeit zu finden, um eine halbe Stunde auf einer Decke im Garten liegen zu können. Es ist nie alles fertig. Und wenn etwas fertig ist, dann habe ich noch hundert Ideen, die ich hier umsetzen könnte. Und wenn ich hypothetisch damit fertig wäre, dann gibt es noch haufenweise ehrenamtliche Möglichkeiten, die den Menschen, der Natur, den Tieren und mir helfen, oder einfach nur der Stammtisch unserer Kneipe. Am Ende bleiben ja noch meine Freunde aus der Stadt, die Langeweile haben.

Für alle da draußen, die nicht wissen, was sie Sinnvolles tun können – kommt man vorbei zum Helfen. Ich hätte für jeden, der bereit ist sich körperlich zu betätigen, was passendes. Bei mir kann man auch „Anpacken“, so wie im Fernsehen (mal wieder öffentlich-rechtliches), nur ohne Fernsehen.