Ein romantisches Bild im Dorf ist immer der Schwatz am Gartenzaun. Wo in der Stadt misstrauisch geguckt wird, weil man im Eingangsflur des Blocks steht und sich unterhält, gilt der Tratsch im Dorf als ortsüblich und erwünscht. Tatsächlich bleibt es oft nicht bei zwei Leuten, sondern der Nächste, der vorbeikommt, stellt sich dazu und trägt was bei.
Tatsächlich gibt es inzwischen unter den lustigen Sprüchen den Text:
Neulich ging ich zu meinem Nachbarn, um mir einen Liter Milch auszuleihen. Nach 2 Stunden kam ich nach Hause, total betrunken, aber ohne Milch.
Das passiert tatsächlich. Oder der Auflauf verbrennt im Ofen, weil man vom Hökschen aufs Stöckchen kommt.
Der Schwatz am Gartenzaun macht nicht nur Spaß, er hat auch eine wichtige soziale Funktion. Dafür sollte man sich Zeit nehmen. Wer seine Nachbarn kennt, der hat auch weniger Angst davor, dass sie ihm etwas Böses wollen. Und die können einem auch die Angst vor dem Übernachbarn nehmen, indem sie tratschen. Umgekehrt erfährt man so auch rechtzeitig, wer die falsche Flagge schwenkt oder wem man besser keine Versicherung abkauft. Am Gartenzaun gibt man ein bisschen von sich her und bekommt etwas zurück. Man muss die Dinge nicht auf die Goldwaage legen. Nirgendwo vergrößern sich Gerüchte so schnell wie am Gartenzaun. Aber das weiß jeder. Und wenn sich der nächste Skandal im Dorf anbahnt, dann wartet man mal ab und guckt, wie viel davon denn überhaupt wahr gewesen ist. Die Spekulation hält sich hingegen auch am Gartenzaun in Grenzen. Den Austausch von Tatsachen kann man es allerdings auch nicht nennen, denn jeder hat so seine eigene Wahrheit. Das ist die eine Nachbarin mal zickig und von der anderen Seite aus unglaublich hilfsbereit. Vermutlich ist beides wahr und wird nur unterschiedlich wahr genommen.
Nichts wird so wenig ernst genommen, wie der Gartenzauntratsch. Aber man ist „raus“, wenn man es versäumt sich über den Gartenzaun über das neuste Dorfgespräch zu informieren. Manchmal hört man wochenlang das Gleiche und dann hat man die Hälfte verpasst, wenn man nicht jeden zweiten Tag das Gespräch gesucht hat. Es gibt keine guten Ratschläge für den Gartenzaun. Man macht es sicher falsch und wenn man es nicht macht ist es auch falsch. Am besten nimmt man es mit Gelassenheit. Gut ist es auch mit jeder Partei zu tratschen. Jede Angelegenheit hat schließlich zwei Seiten und in manchen Dörfern sogar fünf.
Am Ende ist es gut zu wissen, dass das Zelt beim Nachbarn stand, weil dort der Polterabend seiner Tochter gefeiert wurde. Und es schadet auch nicht zu wissen, wessen Hund zur Zeit am häufigsten im Dorf spazieren geht und vor allem, wie der Hund drauf ist, wenn man ihn trifft. (Die meisten Dorfhunde sind übrigens außerhalb ihrer Grundstücke eher ängstlich und ausgesprochen ausgeglichen.) Es schadet auch nicht, wenn man weiß, wer vermutlich gerade knapp bei Kasse ist. So kann man je nach eigener Kassenlage demjenigen entweder auf dem nächsten Dorffest einen ausgeben und elegant ablehnen, wenn man angepumpt wird. Äußerst praktisch ist es, wenn man diejenigen kennt, die noch gärtnern und garantiert zu viele Bohnen, Zuchini oder Äpfel haben. Da staubt man im netten Gespräch mal eben frisches Obst und Gemüse ab. Dafür mäht man im Sommer mal das Grün vor dem Hof mit kurz. Ich weiß auch immer noch gerne, wie es unseren ganz alten Dörflern geht. Sie sind ja das eigentliche Herz eines Dorfes und kennen noch die alten Geschichten. Wenn es angemessen ist, kann man da gut mal seine Hilfe anbieten – am besten über den Gartenzaun.